Dienstag, 18. September 2012

Filmkritik: Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte (2009)

Am Donnerstag kommt Michael Hanekes neuer Film Liebe in die deutsche Kinos, für den der österreichische Regisseur nun schon zum zweiten Mal mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnet wurde. Erstmals gelang ihm dies 2009 mit dem Drama Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte, in dem nicht das Thema Liebe, sondern die Gewalt im Mittelpunkt steht.

Kurz vor dem ersten Weltkrieg: Als sich in einem norddeutschen Dorf seltsame Unfälle und Gewalttaten häufen, versucht der namenlose Dorflehrer herauszufinden, wer dahinter steckt.

Regisseur Michael Haneke
Dies klingt auf den ersten Blick wie die Zusammenfassung eines Krimis oder Thrillers, doch da Das weiße Band eher als ein Historiendrama zu bezeichnen ist, steht die Aufklärung der Verbrechen hier eher im Hintergrund. Stattdessen nutzt Haneke dieses Grundgerüst, um eine Dorfgemeinschaft am Beginn des 20. Jahrhunderts zu beschreiben,  die von psychischer und physischer Gewalt der Männer gegenüber Kindern und Frauen geprägt ist. Die daraus leicht ableitbare Interpretation, dass die strenge protestantische Erziehung dieser Zeit, die Unterwerfung mit Gewalt erzeugt, ein auslösender Faktor dafür sei, dass die Kinder dieser Jahre später den Nationalsozialismus prägen sollten, ist natürlich durchaus kontrovers und wurde nicht von allen Kritikern positiv aufgenommen. Doch auf diese Message reduzieren lässt sich Das weiße Band keinesfalls.

So spielt z.B. die Religion eine wichtige Rolle in Hanekes Film. Sie ist nicht nur Hintergrund für die vielen im Film gezeigten Grausamkeiten der Väter (z.B. Fesseln um Masturbation zu verhindern, abwertende Behandlung von Frauen), sondern wird auch an anderen Stellen thematisiert: Nach der Misshandlung eines Jungen mit Down-Syndrom wird am Tatort ein Zettel gefunden, der die Tat mit einer Bibelstelle begründet: „Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied.“ Auch, dass ein Junge selber den Gürtel holen muss, mit dem er verprügelt werden soll, kann religiös gelesen werden; als Parallele zu Jesus, der sein eigenes Kreuz tragen musste.
Auch abseits der Religion sind interessante Symboliken zu entdecken, so erinnert die Parallelmontage des Erntedankfests mit einer gleichzeitig stattfindenden Zerstörung eines Kohlkopffeldes mit einer Sichel an das seit dem 14. Jahrhundert bekannte Motiv des Totentanzes.

Durch die vielen inhaltlichen Leerstellen (Wer hat die Verbrechen begangen? Wer wusste davon und hat sie vertuscht? Warum versteckt sich der junge Sohn des Arztes, wenn dieser nach Hause kommt?) lädt der Film neben solch symbolischen Überlegungen auch zu inhaltlichen Spekulationen ein. Der Zuschauer ist gefordert, seine eigenen Antworten auf diese Fragen zu finden und bekommt nur so viel erklärt, wie unbedingt notwendig ist.

Kameramann Christian Berger
Auf der technischen Seite ist, neben den grandiosen schauspielerischen Leistungen, vor allem von den Kindern, auch die Kameraarbeit von Christian Berger deutlich hervorzuheben. Besonders, wenn der Tod das Hauptthema einer Szene ist, dominieren faszinierende statische Einstellungen, die durch das kontrastreiche Schwarz-Weiß beinahe wie Gemälde wirken. An anderen Stellen ist die Kamera wiederum überraschend mobil, wie z.B. beim Tanz am Erntedankfest, wodurch einer stilistischen Eintönigkeit vorgebeugt wird.
Der Verzicht auf Farbe ist dabei nicht nur, wie mancher Zuschauer, der Autorenfilmen eher kritisch gegenüber steht, meinen könnte, eine Holzhammermethode, um dem Zuschauer klar zu machen, dass er hier einen Kunstfilm sieht. Stattdessen erfüllt dieses Stilmittel einige wichtige Funktionen: Da sich der Farbfilm zur der Zeit, in der die Geschichte spielt, noch noch nicht durchgesetzt hatte, erhalten Hanekes Bilder eine dokumentarische Wirkung; manche Einstellungen könnten tatsächlich fotografische Abbildungen aus dieser Zeit sein. Wie das Wort „farbenfroh“ schon andeutet, haben Farben außerdem eine positive Wirkung auf den Zuschauer, weshalb der Verzicht auf diese die unangenehme Dorftristesse nochmals betont. Auch der Kampf gegen die Individualität, den die Vaterfiguren dieses Dorfes führen, wird repräsentiert, da die Protagonisten sich nicht durch bestimmte Farben an ihrer Kleidung voneinander abheben können. Letztlich wird auch das Thema von „Gut und Böse“, dass in Das weiße Band eine wichtige Rolle spielt, durch den Kontrast von Schwarz und Weiß repräsentiert.

Den einzigen Kritikpunkt, der meiner Meinung nach dem Film vorgehalten werden kann, ist sein Erzähltempo. Vor allem im letzten Drittel hätte ein etwas schnelleres Vorrangehen in der Erzählung für die Spannung förderlich sein können, so stellt sich hier dann leider doch eine gewisse Langatmigkeit ein.

Auch wenn Hanekes Film daher nicht ganz perfekt ist, ist dem österreichischen Regisseur insgesamt jedoch ein beeindruckendes Werk über strukturelle Gewalt gelungen, dass sich auf vielen Ebenen lesen lässt und einen bleibenden Eindruck hinterlässt.



Urheber der Fotos sind Georges Biard (Michael Haneke) und Manfred Werner (Christian Berger). Beide Bilder stehen unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0).

Sonntag, 9. September 2012

Filmkritik: Harold und Maude (1971)

Hal Ashby brachte 1971 eine ungewöhnliche Liebesgeschichte in die Kinos: In Harold und Maude verliebt sich ein Teenager in eine Rentnerin. Doch Kitsch muss man hier keinen befürchten, denn dieser Klassiker glänzt vor allem durch seinen skurrilen Humor.

Der 18-jährige Harold kommt aus reichem Hause, ist sehr introvertiert und fasziniert vom Tod. Er begeht regelmäßig Selbstmord, ohne daran zu sterben, fährt einen Leichenwagen und besucht Beerdigungen von Menschen, die er nicht kannte. Seine alleinerziehende Mutter möchte ihren Sohn aus seiner Zurückgezogenheit holen, will, dass er ein respektabler junger Mann wird. Sie kauft ihm einen Sportwagen (der von Harold gleich wieder zu einem Leichenwagen umgebaut wird), schickt ihn zu einem Psychiater und schaltet eine Kontaktanzeige, deren Fragen sie dann aber lieber gleich selber beantwortet. Wie zu erwarten wecken die Schauspielerinnen, Buchhalterinnen und anderen jungen Frauen, die aufgrund der Anzeige immer wieder in das abgelegene Haus kommen, keineswegs Harolds Interesse.
Ganz im Gegensatz zu der Rentnerin Maude, die Harold kennen lernt, nachdem sich beide mehrfach bei Beerdigungen über den Weg gelaufen sind. Die beinahe 80-Jährige ist das anarchistische Gegenstück zu Harolds spießiger Mutter: Sie sammelt Gerüche, klaut Autos und gräbt am Straßenrand Bäume aus, um sie in den Wald zurückzubringen. Harold und Maude treffen sich immer regelmäßiger und beginnen bald, sich ineinander zu verlieben...

Eines kann vorweggenommen werden: Weder eine kitschige Romanze, noch eine (vermutlich sogar heute noch) skandalöse Sex-Szene ist in diesem Film zu finden, denn Harold und Maude ist vor allem eines: Eine groteske Komödie. Die an Pipi Langtrumpf erinnernde anarchistische Verspieltheit Maudes findet sich nämlich auch in der Regie von Hal Ashby wieder: Harolds teilweise spektakulären Selbstmorde, die weder nur Versuche sind, noch inszeniert zu sein scheinen, bleiben immer folgenlos; in einer Gesangsnummer spielt das Klavier auch dann weiter, wenn keiner daran sitzt; Gespräche werden über Ortswechsel hinweg nahtlos weitergeführt und manche Momente sind so skurril, dass sie aus Monty Python's Flying Circus hätten stammen können: So versucht in einer Szene Harolds Onkel Victor, der eine Armprothese trägt, die mit einem Faden zum Salutieren gebracht werden kann, seinen Neffen zu überzeugen, zum Militär zu gehen. Harold ist erst skeptisch, steigert sich dann jedoch in überzogene Gewaltphantasien hinein, die Victor abzuwiegeln versucht. Dann taucht plötzlich Maude auf und mimt eine Friedensaktivistin, die von Harold daraufhin als Kommunistin beschimpft und davongejagt wird.

An dieser und ähnlichen Szenen wird deutlich, dass Harold und Maude auch ein Hippie-Film ist, bei dem das Establishment ordentlich auf's Korn genommen wird: Ob Militär, Polizei, Kirche oder die Psychoanalyse, alle bekommen ihr Fett weg. Besonders bemerkenswert ist hierbei, dass es in diesem Film nicht die junge Generation ist, die der älteren ihre überkommenen Werte austreiben will, sondern genau umgekehrt. Das Sahnehäubchen fürs Hippie-Feeling ist der schöne Soundtrack mit Liedern von Cat Stevens, von denen zwei sogar extra für den Film komponiert wurden. 

Insgesamt ist Harold und Maude ein wunderbar frecher, satirischer Film, der auch heute noch kein bisschen angestaubt wirkt. Und auch wenn es zum Ende hin doch noch ein bisschen tragischer wird, ist die Aussage klar: Spaß zu haben und für eine bessere Welt zu kämpfen sind zwei Seiten der selben Medaille.

Freitag, 7. September 2012

Media Monday #62

Das Medienjournal-Blog veröffentlicht jeden Montag einen Lückentext mit Fragen zu Filmen und anderen Medien, der dann von anderen Bloggern beantwortet wird. Die Fragen aus dieser Woche haben es mir besonders angetan, deshalb heute statt einer Filmkritik meine Antworten.

Meine Antworten sind fett gedruckt:

1. Javier Bardem gefiel mir am besten in Das Meer in mir, weil einem der von ihm verkörperte gelähmte Protagonist sofort ans Herz wächst..

2. Jim Sheridan hat mit ________ seine beste Regiearbeit abgelegt, weil ________ . Leider habe ich bisher keinen von Sheridans Filmen gesehen, werde dies aber mit Sicherheit noch nachholen.

3. Pamela Anderson gefiel mir am besten in Baywatch, aus rein nostalgischen Gründen. Grundsätzlich gefällt mir Pamela Anderson aber überhaupt nicht.

4. Ein Filmabend mit Freunden steht an. Zu welcher Art Film tendiert ihr? Ein brutale Schocker, eine leichte Komödie oder etwas gänzlich anderes? Das kommt natürlich darauf an, mit welchen Freunden. Filmabende mit mehreren Leuten laufen meistens auf eher unkontroverse Filme hinaus, das können dann sowohl Komödien als auch Thriller oder Dramen sein. Mit einem guten Freund von mir schaue ich wiederum fast ausschließlich Horror-Filme.

5. Im Fall von The Dark Knight und diversen Batman-Comics gefiel mir der Film deutlich besser als die Buchvorlage, denn die teilweise recht philosophischen Fragestellungen, die Christopher Nolan in seinem Film aufwirft, in den Comics eher seltener zu finden sind. Bei Romanen gefallen mir die Bücher jedoch meist deutlich besser, weil sie eine bessere Innensicht auf die Charaktere liefern können und dadurch oft interessanter sind.

6. Die schlechteste Horrorfilm-Reihe, von der ich trotzdem mehrere Teile gesehen habe ist für mich Scream. Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich an die Filme gar nicht mehr so detailliert erinnern, ist schon länger her, aber alle anderen Horrorfilm-Reihen die ich kenne gefallen mir zu gut um sie hier zu erwähnen..

7. Mein zuletzt gesehener Film ist Harold und Maude und der war toll, weil er mich mit seinem anarchistischen Humor und skurrilen Regie-Einfällen ausgezeichnet unterhalten hat. Eine Filmkritik folgt.

Den leeren Fragebogen und die Antworten vieler anderer Blogger findet ihr im Medien-Journal-Blog.

Donnerstag, 6. September 2012

Filmkritik: Der Tod in Venedig (1971)

Vor 100 Jahren veröffentlichte der deutsche Autor Thomas Mann seine Novelle „Der Tod in Venedig“. Luchino Visconti versuchte sich 1971 an einer Verfilmung des Werkes, mit der ich mich heute beschäftigen möchte.

Dieses Review erzählt das Ende des Films, aber das tut bereits der Titel, daher kann man nicht wirklich von einem Spoiler sprechen.

„Der Tod in Venedig“ gehört zu den bekanntesten Werken Thomas Manns. Das Buch handelt von Gustav von Aschenbach, einem sehr erfolgreichen deutschen Autor, der in München lebt. Aschenbach ist ein ausgesprochen fleißiger, sehr auf die Form seiner Werke bedachter Künstler, dessen Arbeit sein ganzes Leben einnimmt und der daher zurückgezogen lebt. Als er am Münchener Nordfriedhof einen seltsamen Fremden in Wanderkleidung erblickt, der so schnell wieder verschwindet wie er aufgetaucht ist, ergreift Aschenbach die Reiselust, die ihn letztendlich nach Venedig führt. Im Hotel begegnet Aschenbach dem jugendlichen Polen Tadzio, dessen Schönheit ihn von Anfang an fasziniert. Da Aschenbach das Wetter nicht verträgt, will er einige Tage später wieder abreisen. Doch als dies durch eine falsche Gepäckaufgabe verhindert wird, ist er insgeheim froh, noch ein wenig mehr Zeit in der Nähe des Jünglings verbringen zu dürfen. Der Autor steigert sich immer tiefer in seine Gefühle hinein, spricht den Jungen jedoch niemals an. Auch die Stadt hat ein dunkles Geheimnis: Eine Cholera-Epidemie breitet sich aus und wird, um dem Tourismus nicht zu schaden, verheimlicht. Aschenbach erfährt davon, behält das Geheimnis aber für sich, da die polnische Familie sonst sicherlich abreisen würde. Aschenbachs Wahnsinn findet seinen Höhepunkt, als er beginnt, dem Jungen auf Schritt und Tritt zu folgen. Sein ganzes Leben kreist nur noch um Tadzio und so bemerkt er auch nicht, wie sich sein Gesundheitszustand immer mehr verschlechtert, bis er schließlich am Strand in einem Stuhl tot zusammensackt.
Neben der grundlegenden Handlung ist Thomas Manns Buch vor allem durch das hohe Niveau der Sprache, Aschenbachs Reflektionen seiner Gefühle, die prominente Todessymbolik und Motive aus der griechischen Mythologie interessant. Dies in einer Verfilmung umzusetzen ist natürlich ausgesprochen schwierig.Visconti hat sich für eine eher nüchterne Nacherzählung der Geschichte entschieden.

Inspiration: Gustav Mahler
An der grundlegenden Handlung wurde für den Film wenig geändert, dennoch gibt es einige Abweichungen: Thomas Mann ließ sich in der Beschreibung seiner Hauptfigur von dem österreichischen Komponisten Gustav Mahler inspirieren. Visconti spitzt dies zu, indem er Aschenbach von einem Autoren zu einem Komponisten macht und auch sein Aussehen deutlich an Mahler anlehnt. Selbst die Filmmusik besteht vollständig aus Mahlers Werken.
Aschenbachs Hintergrundgeschichte wird in Rückblenden erzählt und beschreibt einen Mann, der beruflich wenig erfolgreich ist und familiäre Schicksalsschläge erlitten hat. Der Protagonist trifft also schon psychisch angeschlagen in Venedig ein, wodurch seine Fallhöhe deutlich geringer ist als in Manns Novelle. Hierdurch werden auch die folgenden Ereignisse als reine Symptome relativiert, während es bei Thomas Mann keine Anzeichen dafür gibt, dass mit Aschenbach vor seinen Erlebnissen in Venedig irgend etwas nicht stimmte.
Ein interessantes erzählerisches Mittel ist, dass Visconti Aschenbachs Wahn mit Rückblenden von kunsttheoretischen Diskussionen kontrastiert, die Aschenbach mit seinem Kollegen Alfred führt. Die Dialoge sind hierbei aus Thomas Manns Roman Doktor Faustus entnommen.

Visconti hat sich leider dagegen entschieden, zu versuchen, bei Aschenbachs Erlebnissen in Venedig die Innensicht auf die Hauptfigur durch Voice-Over oder ähnliche Mittel zu ermöglichen. Aschenbachs Gefühle und Gedanken werden daher vor allem durch die Mimik des ausgezeichneten Hauptdarstellers Dirk Bogarde transportiert. Der eher nüchterne, fast triste Stil steht in deutlichem Gegensatz zum poetischen Schreibstil Thomas Manns. Selbst surreale, traumhafte und mystische Buchpassagen werden im Film mit einer beinahe dokumentarischen Bildsprache wiedergegeben. Weder die Todessymbolik, noch die Anspielungen auf die griechische Mythologie werden von Visconti übernommen, wodurch die Bedeutung einiger Szenen ohne Kenntnis der Vorlage nicht erkennbar ist. Statt den zunehmenden Realitätsverlust des alternden Künstlers selbst mitzuerleben, kann der Rezipient diesen also lediglich von außen beobachten.

Durch Viscontis realistische Erzählweise bleibt daher leider fast nur die grundlegende Handlung von Thomas Manns Novelle übrig, die außerdem in einem eher gemächlichen Erzähltempo nacherzählt wird. Dies ist freilich immer noch recht interessant und die hervorragenden schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarsteller reißen einiges raus. Eine gelungene Verfilmung von Thomas Manns Novelle ist Viscontis Interpretation aber meiner Meinung nach nicht.